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Rudolf
Keller, Fotos 1925 – 1942 Mein Großvater Rudolf Keller
wurde 1887 in Sankt Petersburg
in eine großbürgerliche Familie geboren und hatte
eine einigermaßen bewegte
Lebensgeschichte. Seine Kinderjahre fallen in die “Gute Alte
Zeit“ des
Zarenreiches, als die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts noch
nicht abzusehen
waren. Rudolf ging um 1917 in die USA und lernte
seine erste Frau
kennen, mit der er (wieder zurück im Baltikum) 1919 eine
Tochter bekam. 1924
starb seine Frau, der junge Witwer heiratete 1926 in Riga erneut
– meine
Großmutter. 1939/40 siedelten die Kellers wie fast
alle anderen
Baltendeutschen um, nach Posen ins besetzte Polen. Rudolf wurde in die
deutsche
Armee eingezogen, womit er sehr schlecht zurechtkam. Er starb 1942 an
einem
Herzanfall, mit gerade 55 Jahren. Beruflich hatte Rudolf es nicht leicht.
Der familiäre Wohlstand
aus der Zarenzeit war nach zwei Revolutionen 1905 und 1917 dahin und
der
Oberschichtstatus der deutschen Minderheit in Russland beendet - und
nach der
Gründung der baltischen Staaten auch dort nicht mehr so
unangefochten wie zuvor.
In den frühen Dreißigern war er Betriebsleiter einer
Sperrholzfabrik, was eine
recht glückliche Zeit gewesen sein muss, nach der Insolvenz
der Firma hatte er
ein kleines Fotogeschäft, was wesentlich weniger
einträglich war. Rudolf Keller als Fotograf Fotografie war ganz offensichtlich auch
sein Hobby. Ein
großer Fotograf war er dennoch nicht, so viel kann man
bestimmt sagen ohne ihm
weh zu tun. Aber auch weniger genialen Knipsern gelingt gelegentlich
ein gutes
Bild. Offensichtlich hat ihn auch die Fototechnik interessiert, seine Bilder sind nämlich mit den unterschiedlichsten Kameras (mindestens sieben) entstanden, was man den verschiedenen Negativformaten, teilweise auch Glasplatten und Stereofotos, entnehmen kann. Die verschiedenen Glasplatten kann ich keiner bestimmten Kamera zuordnen, die Stereo Paare werden wohl mit einer Voigtländer gemacht worden sein, eine 6x6 Rolleiflex hat er sicher auch besessen und eine Robot (24x24mm auf Kleinbildfilm). Die meisten Kleinbild Negative sind aus einer Leica III. All diese Negative haben auf wundersame
Weise ihren Weg
durch die Wirren des zweiten Weltkrieges gefunden, sie lagen danach
für Jahrzehnte
bei meinem Vater im Regal. Die Motive auf den vorhandenen Negativen
sind eine
eigenartige Mischung. Es gibt keine Bilder vor etwa 1925, also leider
auch
keine aus den USA. Ich nehme an, dass Rudolf damals noch nicht
fotografiert
hat, oder die Platten sind verloren. Rudolf war weder besonders
sorgfältig im
Einstellen seiner Kameras noch war ihm die Gestaltung eines Bildes
allzu
wichtig. Seine Motive waren seine Familie, Riga, und die baltische
Landschaft. Familie
Seine schöne Wahlheimatstadt Riga
hat Rudolf Keller viel
fotografiert. Manche Häuser so oft, dass sie sicher eine
besondere Bedeutung
für ihn hatten – aber welche? Wie leer es damals auf den
Straßen war und wie unzerstört
die alte Architektur! Ich lebe in der falschen Zeit, denke ich bei
diesen
Bildern. Sägewerk Das Sägewerk oder die Sperrholzfabrik sieht nach einem spannenden Arbeitsplatz aus. Die hölzerne Villa des Geschäftsführers jedenfalls muss ein phantastischer Ort zum Leben gewesen sein und das Gelände drumherum ein einziger Abenteuerspielpatz. Unruhige Zeiten Einige der Bilder zeigen Hinweise darauf,
dass die Zeiten
nicht wirklich so idyllisch waren, wie es bei den Bildern aus der Zeit
der
Sperrholzfabrik scheinen mag. Man sieht Menschen in Uniformen und hie
und da
auch ein Hakenkreuz. Eines der interessantesten Bilder ist das
der freundlichen
Kiosk Verkäuferin. Es lässt sich anhand der
Zeitungsschlagzeile fast auf den
Tag genau datieren, auf die letzten Augusttage 1939, ganz kurz von
Beginn des
zweiten Weltkrieges.
Auf diesen Bildern kann man die
Naturnähe des damaligen
Lebens direkt spüren. Sicher, die Winter waren vermutlich kalt
und dunkel –
aber auf diesen Bildern scheint es, als hätte man im Rest des
Jahres die meiste
Zeit draußen verbracht. Ostseestrand Schön, nicht, die Fischer, das
Meer, die Kiefern und der
Sand? Was Bilder wertvoll macht Ein
großer Fotograf war er wohl wirklich nicht, aber seine
Bilder haben zumindest einen Wert darin, eine Zeit und das Leben in ihr
anhand
von Alltäglichkeiten lebendig zu dokumentieren.
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